Vorher
Das
Simon beim Streichholzziehen den kürzeren gezogen hatte und an
diesem Feiertagmorgen Dienst verrichten musste, störte ihn gar nicht
so sehr. Er hatte sowieso keine Lust auf die buckelige
Verwandtschaft. Das er sich beim Essen der geschmierten Brote auf die
Zunge gebissen hatte war da schon etwas anderes. Hätte er zu diesem
Zeitpunkt gewusst, dass er Minuten später zu einem sabbernden, nach
Menschenfleisch dürstenden Untoten werden würde, sein Kaffee wäre
wohl in der Thermoskanne geblieben. Zu allem Überfluss trank er
seine Tasse direkt über dem Einfülltrichter für das Streugut der
Räumfahrzeuge. Und so kam es wie es kommen musste.
Als
die Verwandlung anfing war es erst nur ein Pochen in der Zunge, dort
wo er sich gebissen hatte. Dann wurde ihm mit einem mal heiß und er
hatte das Gefühl zu ersticken. Er sackte auf ein Knie und versuchte
sich am Geländer fest zu halten. Geschüttelt von Krämpfen fiel
dann zuerst sein Kaffeebecher und schließlich er selbst in den
Streuguttrichter. Seine Jeanshose verfing sich in Höhe des Knies an
einem hervorstehenden Haken, doch das Streugut zog ihn mit sich. Und
so verlor er die Hälfte seiner Hose auf dem Weg durch den Trichter
und schlitzte sich danach auch die gesamte Wade bis auf den Knochen
an dem Haken auf. Schmerzensschreie hörte man nicht. Zu diesem
Zeitpunkt war sein Mund schon gefüllt mit kleinen Steinen und Salz,
welches ihm auf der Zunge brannte. Während er unter Tonnen von
Streugut begraben wurde und langsam wie im Treibsand auf den Grund
des LKWs sank ging ihm nur ein Gedanke durch den Kopf. Hätte er doch
ein Streichholz weiter links gezogen.
Währenddessen
Als
nach einer gewissen Weile jemand den Truck startete wurde Simon wach.
Zumindest das was von ihm übrig war. Halb verwest und nur noch durch
seine Instinkte getrieben, sorgte der Lärm dafür das er einen
unbändigen Hunger verspürte. Und so grub er sich auf das Geräusch
zu. Zu seinem Pech war der Motor, der für den Lärm verantwortlich
war nicht von der Ladefläche aus zu erreichen und so kratzte er sich
nur das Fleisch von den Fingern als er versuchte in einem Meter Tiefe
durch eine Wand aus Stahl zu kommen.
Seine
vielen Leidensgenossen, die an der riesigen Schaufel des
Schneeschiebers zerschellten machten dagegen keine Geräusche. Es
drang jedenfalls nichts bis zu ihm vor.
Nach
mehreren Stunden in denen sie mit dem großen LKW nur schleppend
voran kamen, immer wieder mussten sie die Schneeschaufel einsetzen um
Autos zur Seite zu schieben, kam zu allem Ärger auch noch ein
Platten hinzu. Während Mike unter dem LKW nach einem Reserverad
schaute, prüfte Robert die Karte. Sie hatten wegen der vielen
Hindernisse nur wenige Kilometer geschafft. In diesem Tempo würden
sie es niemals rechtzeitig nach Seattle schaffen.
„Kein
Reserverad!“ Mike kroch unter dem LKW hervor und klopfte sich den
Staub von seiner mittlerweile schon ein wenig in Mitleidenschaft
gezogenen Uniform.
„Können
wir den flicken?“, mischte sich Vivian ein während sie Ben vom
Truck half.
Robert
und Mike begutachteten den Schaden, den eine kaputte Leitplanke
verursacht hatte, und brauchten keine Worte zu wechseln. Die
komplette Flanke war aufgeschlitzt worden. Ersatz hatten sie nicht
und eine Fahrt auf der Felge konnte an jedem potentiellen Hindernis
zu Ende sein, daher entschied sich Robert dafür erst einmal die
Gegend zu erkunden. Der untote Simon, seiner Lärmortung durch den
unplanmäßigen Stopp beraubt, verfiel wieder in eine Art Ruhemodus.
„Ihr
werdet nicht schon wieder alleine los ziehen.“ Vivian klopfte an
die Seite des Trucks. „Ich kann euch ja nicht jedes mal retten.
Nicht mit dem Platten.“
„Wie
wäre es, wenn Du diesmal mitkommst?“ Robert schaute sie fragend
an. Mike gefiel die Idee ganz gut. Er hatte seit der Mall genug von
Erkundungstrips.
„Ok,
ich bin dabei.“ Sie klemmte sich ihr Trennbeil in den Gürtelbund
und schulterte eine Umhängetasche. Robert kontrollierte das Magazin
im Revolver und nahm dann seinen Baseballschläger in die Hand. „Dann
lass uns mal schauen was die Natur hier zu bieten hat. Ich glaube ich
habe ein bis zwei Meilen zurück ein Farmhaus gesehen.“
„Ein,
zwei Meilen? Zu Fuß?“ Sie schaute an sich herunter. „Du hast
Glück, dass ich heute mein Wanderoutfit an habe.“
Grinsend
hakte sie sich bei ihm unter und sie ließen Mike und Ben allein.
Vivian
genoss die Zeit mit Robert. Sie fand ihn attraktiv und er war bis auf
Mike der einzige Mann weit und breit, was war also schon dabei wenn
sie herausfand ob er zu mehr als nur einem Flirt taugte.
„Jetzt
wo wir allein sind, Robert.“ Sie schaute ihn
fragend an.
„Ja?“
„Ich
habe da einmal eine Frage. Woher kommt dieser schreckliche Akzent?“
Sie lachte, weil sie einfach nicht bei so etwas
ernst bleiben konnte.
Robert
dachte an zu Hause. An seine Heimatstadt, den Fußballverein der
niemals über die Viertklassigkeit hinaus gekommen war und seine
Familie. Zum ersten Mal seit Beginn der Katastrophe stockte sein Herz
als ihm bewusst wurde, dass er seine Eltern und seine nervige
Schwester wohl nie wieder sehen würde. Oder war Deutschland
vielleicht verschont geblieben? Noah hatte nur von einem Impfstoff in
den hiesigen Städten gesprochen. Die deutsche Gründlichkeit hatte
vielleicht dafür gesorgt, dass so etwas nicht passiert war. Der
Virus könnte auch dort ausgebrochen sein, aber ohne eine so rasche
Verbreitung. Er nahm sich vor herauszufinden ob und wie er dorthin
kommen konnte. So lange würde er die Hoffnung nicht aufgeben.
„Deutschland.
Ziemlich genau in der Mitte. Dort wo noch jeder jeden kennt und sich
gegenseitig anzeigt, wenn die Hecke des Nachbarn den eigenen Zaun
bedrängt.“
„Ah,
ein wahres Idyll. Und warum bist du dort weg?“ Vivian
klang wirklich interessiert, also erzählte Robert weiter.
„Die
Bezahlung war einfach extrem mies in meinem vorherigen Job. Und da
mein bester Kumpel aus Kindertagen mit seinem Vater hier eine Firma
gegründet hat bin ich quasi als externer Berater eingestiegen.“
Die Umschreibung gefiel ihm recht gut dafür, dass er vorher zwei
Jahre Arbeitslosigkeit hinter sich hatte und nach dem erstbesten
Strohhalm gegriffen hatte, der sich ihm bot.
„Und
du? Was zeichnet deinen Heimatort aus?“
„Och,
Vetternwirtschaft und korrupte Polizisten. Alles was eine gute
Kleinstadt braucht.“ Sie rollte mit den
Augen.
„Ach,
stimmt. Da war ja was mit Gefängnis.“ Er
knuffte sie am Oberarm.
„Erinnere
mich nicht daran.“ Sie rieb sich die Beule an der Stirn, die kaum
noch zu sehen war. Er nahm sie bei der Hand, drehte sie um und küsste
sie auf die Stirn.
Sie
knuffte ihn mit der Faust auf die Schulter und spürte plötzlich
Schmetterlinge im Bauch.
„Ich
habe wohl dem falschen Typen die Nase gebrochen. Aber ganz unter
uns,“ sie kam dicht an ihn heran, „das war es wert!“
Sie
lachten gemeinsam und hatten die Zeit total vergessen. Das Farmhaus
lag nun direkt vor ihnen. Von Untoten war weit und breit nichts zu
sehen.
„Ich
gehe rein und du hältst hier Wache?“
„Wird
gemacht, Boss.“ Sie salutierte ironisch und er kam sich ein wenig
blöd vor.
Immer
zwei auf einmal nehmend lief er die Stufen hoch zum Haus. Er fühlte
sich leichtfüßig und gut drauf, was zu einem gewissen Teil auch an
Vivian lag. Unter anderen Umständen hätte er sie mit Sicherheit
schon nach einem Date gefragt und er nahm sich vor es bei nächster
Gelegenheit nachzuholen.
Durch
die nicht verschlossene Tür gelangte er direkt in eine Wohnküche,
die aber schon längst geplündert worden war. Überall auf dem Boden
waren zertretene Cornflakes und leere Konservendosen. Das angrenzende
Wohnzimmer war von der Ausbeute her genauso enttäuschend. Bis auf
zwei Wolldecken konnte er auch hier nichts brauchbares finden. Bevor
er die Treppe in den ersten Stock nehmen konnte, schrie Vivian von
draußen etwas. Das Haus dämpfte ihre Schreie doch an der Tonlage
konnte er erkennen, dass es dringend war.
Wieder
vor dem Haus verzichtete Vivian auf große Worte sondern zeigte
einfach nur die Straße hinunter. Die Meute, die vor einigen Stunden
noch in Mammoth Mountain gewesen war hatte sich an ihre Fersen
geheftet und kam in hohem schlurfenden Tempo auf sie zu, denn sie
mussten keine Pause einlegen bei ihrer Verfolgung.
„Hast
du etwas gefunden?“
„Nur
die beiden Decken.“
„Dann
sollten wir uns beeilen Mike und Ben Bescheid zu geben und dann
schnell von hier verschwinden.“
„Ich
glaube nicht, dass wir mit dem Truck weit kommen.“
Als
Vivian und Robert die Straße hoch gelaufen kamen rechnete Mike schon
damit, dass es Ärger gegeben hatte. Die Masse hinter den beiden
erfasste er erst ein paar Sekunden später.
„Verfluchte
Scheiße.“
„Hey,
das sagt man nicht!“, protestierte Ben.
Roberts
Rufen verstand Mike erst beim zweiten Mal. „Klettert auf den Truck.
Flach auf das Streugut legen!“
Er
half Ben hoch auf die Ladefläche und schmiss die Taschen und Decken
hinterher. Sekunden später waren auch Vivian und Robert da. Das
Führerhaus hätte nicht genug Platz für sie alle geboten und war
außerdem so tief, dass bei der Masse an Untoten die jetzt auf sie
zukamen vielleicht doch einer rein schauen konnte. Nebeneinander
hatten sie alle gerade so Platz. Keine fünf Minuten später waren
die Untoten auch schon vor Ort und zogen am LKW vorbei.
Am
Ende
Simon
erwachte gerade rechtzeitig aus seinem Ruhemodus um dem Treiben
seiner Artgenossen beizuwohnen. Er versuchte es zumindest. Die Tonnen
von Streugut zwischen ihm und der Außenwelt waren immer noch im Weg
aber der Hunger ließ ihn langsam rasend werden. Er grub die Hände
durch die Steine und das Salz, trat mit dem Bein immer wieder nach
dem Boden, schnappte mit seinen verfaulten Zähne nach allem was sich
bewegte, also ebenfalls nach Steinen und Salz.
„Ich
habe Angst.“, flüsterte Ben Vivian zu.
„Niemand
von denen wird dir etwas tun, solange du hier oben auf dem LKW bist
und dich ganz still verhältst.“ Sie streichelte ihm übers Haar
und er vergrub den Kopf in seine neue Decke. Robert schaute
vorsichtig über den Rand des LKWs nach den Untoten und schätzte,
dass bisher erst die Hälfte an ihnen vorbei gezogen war. Mike
umklammerte seine Pistole und überprüfte zum wiederholten Male
seine Kugeln. Dann lagen sie alle wieder still.
Es
trennte Simon nicht mehr viel vom Durchbruch an die Oberfläche, er
konnte seine Opfer schon riechen. Seine rechte Hand grub sich aus dem
Streugut und packte die erstbeste Hand die er finden konnte, so stark
sie sich auch wehrte konnte sie ihm doch nicht entfliehen. Als er in
den Handballen biss floss das Blut in Strömen heraus und die Schreie
seines Opfers hallten über die Straße und der Köpfe der Untoten
hinweg, die sich nun auf sie konzentrierten.
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