Zur gleichen
Zeit:
Aus der Ferne
hatte er die Gruppe schon länger beobachtet. Den Abstecher der Frau
und des, seinem Aussehen nach zu urteilen, Sanitäters sogar mit
besonderem Interesse, da sie ihm bedrohlich nahe gekommen waren. Es
hätte nicht viel gefehlt und sie hätte nach all den Häusern auch
die Kirche in Augenschein genommen und wie hätte er dann erklären
sollen wer er war und was er hier tat. Sein brauner Mantel schwang im
Wind hin und her, und er hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen.
Nun waren sie
drauf und dran gefressen zu werden. Somit war er kurz davor etwas
Wichtiges zu verlieren. Eine Chance die sich in der jetzigen Zeit
wohl nicht mehr allzu häufig geben würde. Aber konnte er, ohne die
Anderen zu informieren wirklich diese Menschen bei ihnen aufnehmen?
Während er die kleine Gruppe dabei beobachtete wie sie sich auf dem
LKW zusammen rollten, fassten er den Plan ihnen vorerst irgendwie zu
helfen, seiner Gemeinschaft würde er es irgendwie erklären können.
Die Untoten bahnten sich einen Weg an dem LKW vorbei, es waren
hunderte. Der LKW war wie ein Fels in der Brandung. Langsam teilte er
die Gruppe auf und ließ sie an den Seiten entlang fließen. Der Mann
beobachtete alles durch einen riesigen Feldstecher und somit war er
auch, zumindest aus seiner Sicht, hautnah dabei, als das Unglück
geschah.
Ein Untoter
musste schon vorher im LKW gelegen haben, unbeobachtet hatte er sich
über einen langen Zeitraum empor gegraben und nun achtlos
zugebissen. Die Ausmaße waren schrecklich. Sein Opfer schrie aus
Leibeskräften und lockte so die Untoten direkt an den Rand des LKW,
hämmernd versuchten sie sich empor zu ziehen. Wer das Opfer war
konnte er bisher nicht sehen. Doch die Frau war es nicht, denn sie
suchten scheinbar in ihren Sachen nach etwas, womit man die Blutung
stoppen konnte. Auch der schwarze Wachmann schien es nicht zu sein,
er fasste sich immer wieder an den Kopf und wippte vor und zurück.
Als der Sanitäter mit seinem Baseballschläger ausholte um die
Kreatur unter ihnen zu töten war ihm plötzlich bewusst, dass es den
Jungen erwischt hatte. Im Geiste ging er schnell alle Alternativen
durch, die er hatte, doch er hatte nur eine Möglichkeit die Untoten
abzulenken um dann die Gruppe zu retten. Schnell lief er die Leiter
vom Turm herunter und dann die Treppen zum Boden hinab. Kurz
überlegte er noch, ob es wirklich das Richtige war, dann zog er
mehrere Male an dem Seil welches hinauf zur Glocke führte und rief
im Umkreis von mehreren Kilometern alle Untoten dazu auf in die
Kirche zu kommen. Eine Messe für die Untoten.
Vivian konnte es
nicht fassen. Das Glockengeläut rettete ihnen das Leben. Wie eine
große wabernde Masse bewegten sich die Untoten vom LKW weg, hin zu
der kleinen Ortschaft, wo sie mit Robert gewesen war. Es konnte
unmöglich ein Zufall sein, dass zu dieser Zeit die Glocke geläutet
wurde, auch eine automatische Betätigung fiel weg, da es auf ihrer
Armbanduhr erst 13.47 Uhr war. Also musste es ein lebender Mensch
sein, noch dazu einer, der ihnen helfen wollte. Vor Freude vergoss
sie ein paar Tränen um dann von Bens Schreien wieder in das Hier und
Jetzt versetzt zu werden. Sie hatte den kleinen Jungen tatsächlich
für einen Moment vergessen.
„Scheiße. Was
machen wir jetzt?“, sie sah dabei Robert an, der doch immer
irgendwie eine Idee hatte, doch dieser schüttelte resigniert den
Kopf. Der Biss war einfach zu viel, selbst für ihn. In diesem Moment
fing Ben an zu zittern und viel in Ohnmacht.
„Er ist doch
noch so jung.“ Seufzte Mike vom Rand des LKW und vergrub sein
Gesicht in den riesigen Händen.
„Wie schnell
kann sich dieser Mist ausbreiten?“, die Frage ging wieder an
Robert.
„Ich weiß
nicht. Ein paar Minuten vielleicht? Oder Sekunden? Wer weiß das
schon?“ Er schaute in die Ferne, in die sich die Untoten bewegten.
„Ok, ich weiß
Bescheid.“ Vivian wurde plötzlich sehr ruhig, was Robert sofort
aufblicken ließ. Was dann passierte, hätte er nicht in einer
Million Jahre erwartet. Sie nahm Bens verletzten Arm, streckte ihn
und legte die Hand dann auf der Kante des LKWs ab, griff hinter sich,
holte aus und trennte mit ihrem Fleischerbeil in einer geübten
Bewegung die Hand vom Arm. Für Bruchteile durchzuckte Ben ein
heftiger Schmerz, dann war er wieder ohne Bewusstsein. Schweißperlen
standen Vivian auf der Stirn, als sie danach sofort diverse
Mullbinden aus ihrem Rucksack auf den Stumpf drückte. Sie wickelte
ihre Decke um seinen Arm und sah dann auf, blickte in das
erschrockene Gesicht von Robert. „Wir brauchen Feuer. Und das so
schnell wie möglich. Die Wunde muss kauterisiert werden, damit er
zumindest seinen Stumpf behalten kann.“, sie sah ihn fest
entschlossen an.
„Scheiße!“,
Robert konnte es nicht fassen? Hatte sie das gerade wirklich getan?
Er schaute der kleinen Kinderhand hinterher, mit dem Biss im
Handballen die sich noch ein paar Millisekunden auf der LKW-Wand
hielt und dann runter in den Dreck fiel.
Die Untoten waren
bis auf zwei hartnäckige Exemplare, die sich immer noch an der
Motorhaube abmühten, alle unterwegs Richtung Stadt. Robert packte
seinen Baseballschläger und stieg über das Dach auf die Motorhaube.
Wie einen Golfschläger setzte er das Stück Holz ein um gezielt ihre
Köpfe zu zerschmettern. Die Wut der ganzen Gruppe hatte er in den
ersten Schlag gelegt. Der zweite Schlag war erfüllt von Trauer
darüber, dass der kleine Ben seine Hand verloren hatte. Tief in
seinem Inneren wusste er, dass Vivian recht gehabt hatte. Sie mussten
eine Ausbreitung um jeden Preis verhindern, aber in der jetzigen Welt
ohne zwei gesunde Hände zu überleben kam ihm zu schwer vor für
einen kleinen Jungen.
Eine halbe Stunde
später saß Mike am Feuer und überprüfte die Ausrüstung, während
Robert Wache hielt und Vivian sich um Bens Stumpf kümmerte. Robert
hatte unter dem Beifahrersitz ein uraltes Nummernschild gefunden,
welches er nun seit ein paar Minuten in der roten Glut des Feuers
erhitzte. Nach einer erneuten Drehung ging er neben Vivian in die
Hocke und flüsterte ihr zu.
„Hast du auch
das Gefühl, dass wir beobachtet werden?“
„Ja. Irgendwer
muss uns mit der Glocke geholfen haben und ist jetzt ganz in der
Nähe. Wer er auch ist, ich hoffe wir kommen durch ihn an Antibiotika
für Ben, sonst wird er es nicht schaffen.“ Sie blickte sich
vorsichtig um, um vielleicht einen Blick auf die mysteriöse Person
zu erhaschen.
„Das war sehr
mutig von dir!“
Vivian schaute
Robert fragend an.
„Ich glaube
nicht, dass ich in dem Moment stark genug war, so eine Entscheidung
zu treffen, daher bin ich froh, dass du mir diese Entscheidung
abgenommen hast.“ Er legte ihr die Hand auf die Schulter und gab
ihr einen Kuss auf die Stirn. Trotz ihrer Verfassung und der
Situation spürte sie sofort ein kribbeln im Bauch, welches sie nur
schwer wieder zur Konzentration kommen ließ, daher hörte sie auch
seine Frage nicht sofort.
„Wie bitte?“
Robert zeigte auf
Ben. „Sollen wir?“
„Ja.“, sie
seufzte. Was jetzt kam würde ihm höllische Schmerzen verursachen,
aber sie musste die Wunde ausbrennen, damit er nicht mehr so stark
blutete und sich nicht infizierte.
Robert holte mit
einer Zange aus dem Werkzeugkoffer von Mike, das Nummernschild aus
dem Feuer. Und legte es mit der nicht bedruckten Seite nach oben auf
den Boden. Dann hielten sie beide Ben fest und drückten seinen Arm
wie einen Stempel auf das Schild. Sofort zischte das Blut und die
Haut verbrannte. Der Geruch nach verbrannter Haut war widerlich, aber
nicht das erste Mal, dass ihn Robert roch. In Deutschland war er
schon einmal in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Damals als
sein bester Freund gerade frisch seinen Führerschein gemacht und
sich dann unbemerkt den Mercedes seines Vaters geborgt hatte.
Leichtsinnig wie sie damals waren, hatten sie versucht wie in den
amerikanischen Actionfilmen den Wagen zum driften zu bringen.
Kontrolliertes ausbrechen lassen war für sie das höchste der
Gefühle, bis sie es im Abendverkehr an einer Kreuzung probierten.
Der Boden war zu nass und der Wagen rutschte unter einen Radlader,
der an einer Baustelle geparkt war. Robert und sein Freund wurden
eingeklemmt und das Auto fing Feuer. Die ersten Helfer versuchten ihn
zu befreien, weil sein Freund zu dem Zeitpunkt schon tot war. Sein
Kopf war widernatürlich verdreht, als der Airbag nicht ausgelöst
hatte und sein Kopf gegen Rahmen und Lenkrad geschlagen war. Kurz
bevor sie Robert raus zogen, hatten sich die Flammen bis zum
Fahrersitz ausgeweitet und seinen Freund langsam aufgelöst. Den
Geruch würde er niemals vergessen.
Ben war plötzlich
wieder bei Bewusstsein und schrie vor Schmerzen und Robert hatte alle
Mühe den kleinen Jungen fest zu halten. Als alles geschafft war und
Robert das Schild zur Seite kickte, war Ben schlagartig wieder in
Bewusstlosigkeit versunken.
„Wir brauchen
unbedingt Antibiotika, Robert!“
„Ich denke, da
kann ich helfen.“ Vollständig in eine braune Mönchskutte gehüllt,
trat ein Mann an das Feuer heran. Seine Hände hatte er in den Ärmeln
verschränkt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Mike richtete
sofort die Pistole auf ihn und ließ sie auch nicht sinken, als sich
der Geistliche mit einer raschen Handbewegung die Kapuze runter zog.
Robert entging nicht, dass er eine Tätowierung auf dem Handrücken
hatte, die er eigentlich eher einem Gefängnisinsassen zugetraut
hätte und zudem relativ neue schwarze Lederschuhe trug. Er musste
sich erst in vorgeschrittenem Alter, vielleicht sogar direkt im
Gefängnis dazu entschlossen haben seinen Weg zu verlassen und den
Pfad Gottes einzuschlagen. Er zollte dem Mann dafür Respekt, konnte
es sich selbst aber nicht vorstellen, an so etwas wie einen Gott zu
Glauben.
Der Mann hob die
Hände um zu zeigen, dass er unbewaffnet war und ging dabei auf
Vivian und Ben zu. Unter der Kapuze versteckte sich ein Glatzkopf mit
Rauschebart, der eine paar Pfunde mehr auf dem Buckel hatte, aber
trotzdem flink und agil wirkte. Auf Robert wirkte er wie ein netter
alter Mann, der gern mal den Weihnachtsmann für die Nachbarskinder
spielte. Er schätzte ihn auf 60 Jahre. Vivian schaute ihn fragend
an.
„Ich lebe mit
meinen Ordensbrüdern in einer Anlage nicht weit von hier. Auf einer
Karte nicht verzeichnet, aber ich könnte euch hinführen. Wir haben
genug Medikamente, Essen, Trinken und Schlafmöglichkeiten.“, er
breitete einladend die Hände aus und Mike grinste wie ein
Honigkuchenpferd als er die Waffe weg steckte. Der Gedanke an ein
richtiges Bett und vielleicht sogar eine Dusche ließ ihn alle
Vorsicht über Board werfen. Sofort schulterte er seinen und Roberts
Rucksack, damit dieser Ben tragen konnte und stand neben dem Mann.
„Wie heißen
sie, mein Freund?“
„Ich bin Mike.
Ich war früher Wachmann. Naja, irgendwie immer noch. Und sie?“
„Man nennt mich
Bruder Charles. Ich bin so etwas wie der Klostervorsteher.“
„So etwas
wie?“, harkte Vivian nach.
„Ja, wir Brüder
sind im Geiste verbunden, weswegen wir eigentlich alle Entscheidungen
gemeinsam fällen.“
Robert nahm Ben auf seine Arme. „Ok, wo
müssen wir lang?“
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