Undtot - Kapitel 16: Messe für die Untoten

Zur gleichen Zeit:
Aus der Ferne hatte er die Gruppe schon länger beobachtet. Den Abstecher der Frau und des, seinem Aussehen nach zu urteilen, Sanitäters sogar mit besonderem Interesse, da sie ihm bedrohlich nahe gekommen waren. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte nach all den Häusern auch die Kirche in Augenschein genommen und wie hätte er dann erklären sollen wer er war und was er hier tat. Sein brauner Mantel schwang im Wind hin und her, und er hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

 
Nun waren sie drauf und dran gefressen zu werden. Somit war er kurz davor etwas Wichtiges zu verlieren. Eine Chance die sich in der jetzigen Zeit wohl nicht mehr allzu häufig geben würde. Aber konnte er, ohne die Anderen zu informieren wirklich diese Menschen bei ihnen aufnehmen? Während er die kleine Gruppe dabei beobachtete wie sie sich auf dem LKW zusammen rollten, fassten er den Plan ihnen vorerst irgendwie zu helfen, seiner Gemeinschaft würde er es irgendwie erklären können. Die Untoten bahnten sich einen Weg an dem LKW vorbei, es waren hunderte. Der LKW war wie ein Fels in der Brandung. Langsam teilte er die Gruppe auf und ließ sie an den Seiten entlang fließen. Der Mann beobachtete alles durch einen riesigen Feldstecher und somit war er auch, zumindest aus seiner Sicht, hautnah dabei, als das Unglück geschah.
Ein Untoter musste schon vorher im LKW gelegen haben, unbeobachtet hatte er sich über einen langen Zeitraum empor gegraben und nun achtlos zugebissen. Die Ausmaße waren schrecklich. Sein Opfer schrie aus Leibeskräften und lockte so die Untoten direkt an den Rand des LKW, hämmernd versuchten sie sich empor zu ziehen. Wer das Opfer war konnte er bisher nicht sehen. Doch die Frau war es nicht, denn sie suchten scheinbar in ihren Sachen nach etwas, womit man die Blutung stoppen konnte. Auch der schwarze Wachmann schien es nicht zu sein, er fasste sich immer wieder an den Kopf und wippte vor und zurück. Als der Sanitäter mit seinem Baseballschläger ausholte um die Kreatur unter ihnen zu töten war ihm plötzlich bewusst, dass es den Jungen erwischt hatte. Im Geiste ging er schnell alle Alternativen durch, die er hatte, doch er hatte nur eine Möglichkeit die Untoten abzulenken um dann die Gruppe zu retten. Schnell lief er die Leiter vom Turm herunter und dann die Treppen zum Boden hinab. Kurz überlegte er noch, ob es wirklich das Richtige war, dann zog er mehrere Male an dem Seil welches hinauf zur Glocke führte und rief im Umkreis von mehreren Kilometern alle Untoten dazu auf in die Kirche zu kommen. Eine Messe für die Untoten.


Vivian konnte es nicht fassen. Das Glockengeläut rettete ihnen das Leben. Wie eine große wabernde Masse bewegten sich die Untoten vom LKW weg, hin zu der kleinen Ortschaft, wo sie mit Robert gewesen war. Es konnte unmöglich ein Zufall sein, dass zu dieser Zeit die Glocke geläutet wurde, auch eine automatische Betätigung fiel weg, da es auf ihrer Armbanduhr erst 13.47 Uhr war. Also musste es ein lebender Mensch sein, noch dazu einer, der ihnen helfen wollte. Vor Freude vergoss sie ein paar Tränen um dann von Bens Schreien wieder in das Hier und Jetzt versetzt zu werden. Sie hatte den kleinen Jungen tatsächlich für einen Moment vergessen.
Scheiße. Was machen wir jetzt?“, sie sah dabei Robert an, der doch immer irgendwie eine Idee hatte, doch dieser schüttelte resigniert den Kopf. Der Biss war einfach zu viel, selbst für ihn. In diesem Moment fing Ben an zu zittern und viel in Ohnmacht.
Er ist doch noch so jung.“ Seufzte Mike vom Rand des LKW und vergrub sein Gesicht in den riesigen Händen.
Wie schnell kann sich dieser Mist ausbreiten?“, die Frage ging wieder an Robert.
Ich weiß nicht. Ein paar Minuten vielleicht? Oder Sekunden? Wer weiß das schon?“ Er schaute in die Ferne, in die sich die Untoten bewegten.
Ok, ich weiß Bescheid.“ Vivian wurde plötzlich sehr ruhig, was Robert sofort aufblicken ließ. Was dann passierte, hätte er nicht in einer Million Jahre erwartet. Sie nahm Bens verletzten Arm, streckte ihn und legte die Hand dann auf der Kante des LKWs ab, griff hinter sich, holte aus und trennte mit ihrem Fleischerbeil in einer geübten Bewegung die Hand vom Arm. Für Bruchteile durchzuckte Ben ein heftiger Schmerz, dann war er wieder ohne Bewusstsein. Schweißperlen standen Vivian auf der Stirn, als sie danach sofort diverse Mullbinden aus ihrem Rucksack auf den Stumpf drückte. Sie wickelte ihre Decke um seinen Arm und sah dann auf, blickte in das erschrockene Gesicht von Robert. „Wir brauchen Feuer. Und das so schnell wie möglich. Die Wunde muss kauterisiert werden, damit er zumindest seinen Stumpf behalten kann.“, sie sah ihn fest entschlossen an.
Scheiße!“, Robert konnte es nicht fassen? Hatte sie das gerade wirklich getan? Er schaute der kleinen Kinderhand hinterher, mit dem Biss im Handballen die sich noch ein paar Millisekunden auf der LKW-Wand hielt und dann runter in den Dreck fiel.
Die Untoten waren bis auf zwei hartnäckige Exemplare, die sich immer noch an der Motorhaube abmühten, alle unterwegs Richtung Stadt. Robert packte seinen Baseballschläger und stieg über das Dach auf die Motorhaube. Wie einen Golfschläger setzte er das Stück Holz ein um gezielt ihre Köpfe zu zerschmettern. Die Wut der ganzen Gruppe hatte er in den ersten Schlag gelegt. Der zweite Schlag war erfüllt von Trauer darüber, dass der kleine Ben seine Hand verloren hatte. Tief in seinem Inneren wusste er, dass Vivian recht gehabt hatte. Sie mussten eine Ausbreitung um jeden Preis verhindern, aber in der jetzigen Welt ohne zwei gesunde Hände zu überleben kam ihm zu schwer vor für einen kleinen Jungen.


Eine halbe Stunde später saß Mike am Feuer und überprüfte die Ausrüstung, während Robert Wache hielt und Vivian sich um Bens Stumpf kümmerte. Robert hatte unter dem Beifahrersitz ein uraltes Nummernschild gefunden, welches er nun seit ein paar Minuten in der roten Glut des Feuers erhitzte. Nach einer erneuten Drehung ging er neben Vivian in die Hocke und flüsterte ihr zu.
Hast du auch das Gefühl, dass wir beobachtet werden?“
Ja. Irgendwer muss uns mit der Glocke geholfen haben und ist jetzt ganz in der Nähe. Wer er auch ist, ich hoffe wir kommen durch ihn an Antibiotika für Ben, sonst wird er es nicht schaffen.“ Sie blickte sich vorsichtig um, um vielleicht einen Blick auf die mysteriöse Person zu erhaschen.
Das war sehr mutig von dir!“
Vivian schaute Robert fragend an.
Ich glaube nicht, dass ich in dem Moment stark genug war, so eine Entscheidung zu treffen, daher bin ich froh, dass du mir diese Entscheidung abgenommen hast.“ Er legte ihr die Hand auf die Schulter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Trotz ihrer Verfassung und der Situation spürte sie sofort ein kribbeln im Bauch, welches sie nur schwer wieder zur Konzentration kommen ließ, daher hörte sie auch seine Frage nicht sofort.
Wie bitte?“
Robert zeigte auf Ben. „Sollen wir?“
Ja.“, sie seufzte. Was jetzt kam würde ihm höllische Schmerzen verursachen, aber sie musste die Wunde ausbrennen, damit er nicht mehr so stark blutete und sich nicht infizierte.
Robert holte mit einer Zange aus dem Werkzeugkoffer von Mike, das Nummernschild aus dem Feuer. Und legte es mit der nicht bedruckten Seite nach oben auf den Boden. Dann hielten sie beide Ben fest und drückten seinen Arm wie einen Stempel auf das Schild. Sofort zischte das Blut und die Haut verbrannte. Der Geruch nach verbrannter Haut war widerlich, aber nicht das erste Mal, dass ihn Robert roch. In Deutschland war er schon einmal in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Damals als sein bester Freund gerade frisch seinen Führerschein gemacht und sich dann unbemerkt den Mercedes seines Vaters geborgt hatte. Leichtsinnig wie sie damals waren, hatten sie versucht wie in den amerikanischen Actionfilmen den Wagen zum driften zu bringen. Kontrolliertes ausbrechen lassen war für sie das höchste der Gefühle, bis sie es im Abendverkehr an einer Kreuzung probierten. Der Boden war zu nass und der Wagen rutschte unter einen Radlader, der an einer Baustelle geparkt war. Robert und sein Freund wurden eingeklemmt und das Auto fing Feuer. Die ersten Helfer versuchten ihn zu befreien, weil sein Freund zu dem Zeitpunkt schon tot war. Sein Kopf war widernatürlich verdreht, als der Airbag nicht ausgelöst hatte und sein Kopf gegen Rahmen und Lenkrad geschlagen war. Kurz bevor sie Robert raus zogen, hatten sich die Flammen bis zum Fahrersitz ausgeweitet und seinen Freund langsam aufgelöst. Den Geruch würde er niemals vergessen.
Ben war plötzlich wieder bei Bewusstsein und schrie vor Schmerzen und Robert hatte alle Mühe den kleinen Jungen fest zu halten. Als alles geschafft war und Robert das Schild zur Seite kickte, war Ben schlagartig wieder in Bewusstlosigkeit versunken.
Wir brauchen unbedingt Antibiotika, Robert!“
Ich denke, da kann ich helfen.“ Vollständig in eine braune Mönchskutte gehüllt, trat ein Mann an das Feuer heran. Seine Hände hatte er in den Ärmeln verschränkt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Mike richtete sofort die Pistole auf ihn und ließ sie auch nicht sinken, als sich der Geistliche mit einer raschen Handbewegung die Kapuze runter zog. Robert entging nicht, dass er eine Tätowierung auf dem Handrücken hatte, die er eigentlich eher einem Gefängnisinsassen zugetraut hätte und zudem relativ neue schwarze Lederschuhe trug. Er musste sich erst in vorgeschrittenem Alter, vielleicht sogar direkt im Gefängnis dazu entschlossen haben seinen Weg zu verlassen und den Pfad Gottes einzuschlagen. Er zollte dem Mann dafür Respekt, konnte es sich selbst aber nicht vorstellen, an so etwas wie einen Gott zu Glauben.
Der Mann hob die Hände um zu zeigen, dass er unbewaffnet war und ging dabei auf Vivian und Ben zu. Unter der Kapuze versteckte sich ein Glatzkopf mit Rauschebart, der eine paar Pfunde mehr auf dem Buckel hatte, aber trotzdem flink und agil wirkte. Auf Robert wirkte er wie ein netter alter Mann, der gern mal den Weihnachtsmann für die Nachbarskinder spielte. Er schätzte ihn auf 60 Jahre. Vivian schaute ihn fragend an.
Ich lebe mit meinen Ordensbrüdern in einer Anlage nicht weit von hier. Auf einer Karte nicht verzeichnet, aber ich könnte euch hinführen. Wir haben genug Medikamente, Essen, Trinken und Schlafmöglichkeiten.“, er breitete einladend die Hände aus und Mike grinste wie ein Honigkuchenpferd als er die Waffe weg steckte. Der Gedanke an ein richtiges Bett und vielleicht sogar eine Dusche ließ ihn alle Vorsicht über Board werfen. Sofort schulterte er seinen und Roberts Rucksack, damit dieser Ben tragen konnte und stand neben dem Mann.
Wie heißen sie, mein Freund?“
Ich bin Mike. Ich war früher Wachmann. Naja, irgendwie immer noch. Und sie?“
Man nennt mich Bruder Charles. Ich bin so etwas wie der Klostervorsteher.“
So etwas wie?“, harkte Vivian nach.
Ja, wir Brüder sind im Geiste verbunden, weswegen wir eigentlich alle Entscheidungen gemeinsam fällen.“ 
Robert nahm Ben auf seine Arme. „Ok, wo müssen wir lang?“

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